Qualitätsoffensive: Die gute (offene) Ganztagsschule

gemeinsamer Antrag der CDU und Bündnis90/Grüne/GAL

Der Rat möge beschließen:


1. Die Verwaltung wird beauftragt, ein Gesamtkonzept zu verbindlichen flächendeckenden Qualitätsstandards für alle OGS in Münster in gemeinsamer Verantwortung von Jugendhilfe und Schule auszuarbeiten. Das Ziel ist es, Unterricht sowie ihn ergänzende und erweiternde allgemeinbildende Angebote von außerschulischen Partnern zu einem Gesamtkonzept von Bildung, Erziehung und Betreuung zusammenzuführen sowie Schule und OGS besser zu verzahnen und als verlässlichen Lern- und Lebensraum für Mädchen und Jungen weiterzuentwickeln. Dazu gehört auch mehr individuelle Förderung der Kinder nach ihren eigenen Bedürfnissen mit ihren Stärken, Schwächen und individuellen Begabungen.

2. Um die pädagogische Qualität der OGS zu stärken und qualitative Angebote gezielt auszubauen, wird die Verwaltung beauftragt,
• ein Personalentwicklungskonzept sowohl für ältere Fachkräfte als auch für niedrig-teilzeitbeschäftigten Mitarbeiter/-innen zu entwickeln, mit dem Ziel, das vorhandene Personal bestmöglich auf die Aufgaben vorzubereiten. Ein Teil des Konzeptes sind verstärkte gemeinsame regelmäßige Fortbildungsmaßnahmen mit Beteiligung von Lehr- und pädagogischen Fachkräften, Ganztagskoordinatoren und Schulleitungen;
• den Anteil der freien Träger der Jugendhilfe, die im Offenen Ganztag tätig sind, auf mehr als 25% zu erhöhen. Die OGS ist zu einem inklusiven Lebens- und Lernort weiter zu entwickeln. Entsprechende Mehrbedarfe an Personal (insbesondere im Nachmittagsbereich, solange nicht rhythmisiert ist) inkl. Finanzierungsbedarf sind zu ermitteln;
• allgemein verfügbare Maßnahmen zur Erhaltung der Personalgesundheit an den OGS zu etablieren;
• die Essenssituation (Mensen) dem Bedarf entsprechend zu gestalten und ein entspanntes Einnehmen von gesunden Mahlzeiten zu ermöglichen. Die vorhandenen Speiseräume und Küchen stoßen häufig an ihre Grenzen. Daher ist auch hier zu ermitteln, mit welchem Raum- und Finanzbedarf dieses Ziel zu realisieren ist;
• das Raumangebot inkl. Rückzugsmöglichkeiten so zu gestalten, dass sich die Kinder wohlfühlen. Kinder sind bei den Gestaltungsfragen einzubeziehen.

3. Die Verwaltung wird beauftragt bei der Kostenberechnung für die freien Träger die Over-Head-Kosten im angemessenen Umfang zu berücksichtigen.

4. Die Verwaltung wird im Weiteren beauftragt, auf der Grundlage des Fachberichts Offene Ganztagsschule (OGS) aus dem Jahr 2015  den Finanzierungs- und Raumbedarf verbunden mit einer möglichen zeitlichen Umsetzungsperspektive in priorisierten Modulen rechtzeitig zu den Haushaltsberatungen 2017 für die nachfolgenden Maßnahmen zu ermitteln:
• die Freistellung der Koordinationsstellen ab 4 Gruppen,
• im Bestand Möglichkeiten zu eruieren, um für die Koordinationsfachkräfte eigene Büros bzw. “ungestörte“ Arbeitsplätze zu schaffen,
• einen dem Bedarf entsprechenden Vertretungspool aufzubauen,
• die Gruppengröße im Offenen Ganztag auf 25 Kinder zu reduzieren.

Begründung:

Nur in gemeinsamer Verantwortung von Jugendhilfe und Schule kann ein Ort des Lebens und Lernens entstehen, das die Mädchen und Jungen in ihrer Entwicklung ganzheitlich fördert und in ihren Bedürfnissen und Interessen ernst nimmt. Die Umsetzung der Trias Bildung, Erziehung und Betreuung ist das zentrale Ziel in der Offenen Ganztagsschule. Betreuung nicht nur verstanden als Beaufsichtigung und zeitliche Betreuung, sondern als Sorge, Unterstützung und Beziehungsarbeit. Bildung nicht nur verstanden als das Vermitteln von Wissen, sondern auch als Förderung der Persönlichkeitsbildung und die Aneignung sozialer und kultureller Kompetenzen. Um Bedürfnissen der Kinder zu genügen, bedarf es qualifizierter pädagogischer Fachkräfte als feste Ansprechpartner/innen und kontinuierliche Bezugspersonen sowie eines guten Personal-Schlüssels. Ebenfalls adäquate räumliche und sächliche Ausstattung im Innen- wie im Außenbereich gehört dazu.

Was macht eine gute OGS aus?

Eine gute OGS zeichnet eine Rhythmisierung und inhaltliche Verknüpfung von Unterricht und außerunterrichtlichen Angeboten aus, was auch die Inklusion (Integrationshelfer am Nachmittag) erleichtern würde.
Will die Schule ein Lern- und Lebensort für Kinder sein, müssen sich Kinder dort wohl und gut aufgehoben fühlen. Aus der Perspektive von Kindern und im Interesse ihrer Persönlichkeits-entwicklung ist es daher wichtig, wenn Schule zuvörderst ein Ort ist, in dem die Mädchen und Jungen ihre altersspezifischen und entwicklungsrelevanten Lebensbedürfnisse befriedigen können:

•  Das Bedürfnis Wissen und Können zu erwerben (!)
•  Das Bedürfnis nach selbst bestimmter Bewegung und Aktivität
•  Das Bedürfnis nach Zusammensein mit Gleichaltrigen
•  Das Bedürfnis, die Welt im Umfeld von Elternhaus und Schule zu erkunden
•  Das Bedürfnis nach verlässlichen Strukturen, mit klaren sozialen Regeln
•  Das Bedürfnis nach ernst nehmender und verstehender Anleitung
•  Das Bedürfnis sich zu entfalten, zu wachsen und „groß“ zu werden und dazu ermutigt zu werden
• Das Bedürfnis nach konstanten Bezugspersonen.

Eine Offene Ganztagsschule muss diesen Anforderungen ebenso genügen, weil sie für die angemeldeten Kinder eine Ganztagsschule ist.

Charakteristisch ist leider für die meisten OGS in Münster die Trennung von Unterricht am Vormittag und Betreuungs- und Freizeitangeboten am Nachmittag. Nach einem umfassenden Bildungsverständnis müsste hier eine bessere bildungsfördernde Verzahnung zwischen Unterricht und außerunterrichtlichen Ganztagsangeboten erfolgen.
Durch das aktuelle Konzept ist eine Rhythmisierung im Sinne der Anpassung an individuelle Lern- und Biorhythmen der Kinder kaum möglich. Insbesondere für Kinder mit emotionalem und sozialem Unterstützungsbedarf ist dies besonders schwierig aufgrund des Bezugspersonen- und Gruppenwechsels zwischen Vor- und Nachmittag, zu großen Gruppen und kaum vorhandenen Rückzugsmöglichkeiten. Hier wäre eine sinnvolle Maßnahme die Bildung von OGS-Klassen.

Angesichts aktueller Herausforderungen, wie dem gemeinsamen Lernen von Kindern mit und ohne Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung sowie einer optimierten individuellen Förderung, wird der Anspruch an die pädagogische Arbeit in der Primarstufe in Zukunft nicht kleiner, sondern ansteigen. (So der Bildungsbericht „Offene Ganztagsschule NRW 2014“). Wir brauchen deshalb neue didaktische Ansätze für heterogene Kindergruppen. Im Rahmen des Bildungsberichts lässt sich aus Trägersicht diesbezüglich eher ein negativer Trend feststellen. Mit Blick auf die Umsetzung ganztagsspezifischer Zielsetzungen sehen die Träger insbesondere die Förderung von Stärken und Fähigkeiten der Kinder im Jahr 2013/14 als weniger gegeben an, als noch im Jahr 2011/12. Es ist daher zu empfehlen, die Konzepte der Offenen Ganztagsschule insbesondere dahingehend zu prüfen, wie die Kinder individuell nach ihren eigenen Bedürfnissen, Stärken und Schwächen besser gefördert werden können.

„Es geht darum, ein von den künftigen Nutzern, also den Kindern, mitentwickeltes und akzeptiertes Programm für die Schule am Nachmittag zu entwerfen (...)
Es wird deutlich, wie wertvoll es ist, das subjektive Wohlbefinden der Kinder als einen Indikator für die Qualität eines sozialökologischen Lebensraums heranzuziehen. Wenn Ganztagsschule ein Mehr an Anregungen und Angeboten mit sich bringt, wird sie von den Kindern begrüßt. Wenn sie nur eine zeitliche Verlängerung der traditionellen Halbtagsschule darstellt, findet sie nur mäßige Akzeptanz. (3. World-Vision Kinderstudie 2013, S. 124 f).

So können die außerunterrichtlichen Angebote ein guter Rahmen sein, um bestimmte Themen des Unterrichts noch einmal von einer etwas anderen Seite zu beleuchten. Dabei kann der außerunterrichtliche Bereich sich auf solche Aktivitäten konzentrieren, für die oft im eigentlichen Unterricht keine Zeit besteht.
Das funktioniert nur, wenn genügend Zeit zur Verfügung steht. Auch müssen Lehr- und Fachkräfte in engem Austausch stehen, damit eine hohe Transparenz im Hinblick auf die Unterrichtsinhalte vorhanden ist. Für die Umsetzung der besseren Verzahnung von außerunterrichtlichen Angeboten und Unterricht ist eine angemessene personelle Ausstattung mit pädagogischen Fachkräften notwendige Voraussetzung.

Laut der Berichtsvorlage V/0444/2015 sind rund 46 % der hauptamtlich beschäftigten Mitarbeiter/-innen in den offenen Ganztagsschulen älter als 45 Jahre. Im Schuljahr 2014/15 arbeiteten zudem 562 Mitarbeiter/-innen im Rahmen eines niedrigteilzeitbeschäftigten Arbeitsverhältnisses. Eine besondere Herausforderung stellt hier der Einsatz von niedrig-teilzeitbeschäftigten Kräften dar. Vielfach zwingt die personelle Not die OGS-Koordinatoren/Innen, das Personal direkt z.B. über nadann-Anzeigen zu suchen und einzustellen. Dabei werden häufig Personen eingestellt, die über keine pädagogische Ausbildung verfügen. Regelmäßige Fortbildungsmaßnahmen müssen daher zwingend eine feste Grundsäule der Personalpolitik im OGS-Bereich werden. Gemeinsame, multiprofessionelle Fortbildungen müssen verstärkt angeboten und beworben werden. Es sollte angestrebt werden, schulpädagogische und sozialpädagogische Kompetenzen und Systeme zusammenzuführen. Neben gemeinsamen Fortbildungen sind auch gegenseitige Hospitationen und gemeinsame Teamzeiten von Fach- und Lehrkräften, Ganztagskoordinatoren und Schulleitungen sinnvoll. Eine weitere Überlegung ist eine verstärkte Zusammenarbeit mit den Münsteraner Hochschulen, um Lehramtsstudierende im Rahmen eines studienbegleitenden Praktikums an der pädagogischen Arbeit im offenen Ganztag zu beteiligen.

Der Fachbericht OGS 2015 hat viele „Baustellen“ im Personalbereich aufgezeigt, die es sukzessive zu bearbeiten gilt, wobei einige exemplarisch nachfolgend detaillierter begründet werden:

Die Leitungs-, Koordinations- und Verwaltungsaufgaben und die damit verbundene Organisations- und Steuerungsverantwortung haben sich aufgrund der stetig wachsenden Teilnehmerzahlen in den offenen Ganztagsschulen deutlich erhöht. Insbesondere an großen offenen Ganztagsschulen (ab 4 Gruppen) nehmen die Leitungsaufgaben einen deutlich höheren Stellenwert als an kleineren offenen Ganztagsschulen ein. So kann ein/e Koordinator/-in, neben der Leitung einer eigenen Gruppe, zwischenzeitlich für ein Team von bis zu 25 Mitarbeiter/-innen verantwortlich sein.

Um den anfallenden Aufgaben an den größer werdenden offenen Ganztagsschulen gerecht werden zu können, wurden zum 01.01.2014 die Stellen der Koordinatoren/-innen an offenen Ganztagsschulen mit vier und mehr Gruppen von 25,32 auf 30,0 Stunden aufgestockt. Hierfür wurden 1,92 Planstellen (S 8) im Stellenplan 2014 eingerichtet (vgl. Vorlage V/0530/2013).“

Der Rat hat im Dezember 2015 beschlossen, dass ab dem Schuljahr 2016/2017 Mittel bereitgestellt werden, um als einen ersten Schritt Koordinationsfachkräfte an den größten OGS mit 7 bzw. 8 Gruppen (4-5 Koordinationsfachkräfte) freizustellen.

Im Schuljahr 2015/16 haben 26 offene Ganztagsschulen 4 und mehr Gruppen; davon haben
13 Schulen  4 Gruppen
1 Schule    5 Gruppen
6 Schulen  6 Gruppen
5 Schulen  7 Gruppen
1 Schule    8 Gruppen

Weitere Schritte müssen daher folgen. Neben der Freistellung müssen Koordinationsfachkräfte über einen ausgestatteten, „ungestörten“ Arbeitsplatz oder, wo im Bestand möglich, ein eigenes Büro verfügen.
Der Vertretungspool muss laut Fachbericht aufgestockt werden, um Vertretungssituationen ausreichend abdecken zu können.
Als vertretbare Gruppengröße wird eine Anzahl von 25 Kindern benannt. Zurzeit wird ab dem 50. Kind die zweite Gruppe gebildet. Hier besteht dringender Handlungsbedarf, will man auch die Inklusion im Ganztagsbereich umsetzen sowie die individuelle Förderung nach eigenen Begabungen, Stärken und Schwächen zu verwirklichen.

Trotz unterschiedlicher Aufgabenstellungen, Strukturen, Zuständigkeiten, Finanzierungen, Arbeitsweisen und Methoden stehen Schule und Jugendhilfe in gemeinsamer Verantwortung für die kognitive, soziale und emotionale Entwicklung von Kindern. Die freien Träger haben sich laut aktuellem OGS-Fachbericht des Amtes für Kinder, Jugendliche und Familien als professionelle und verlässliche Partner etabliert und bereichern mit ihrer Arbeit die Schul- und Betreuungslandschaft . Daher ist es konsequent, dass Know-how der freien Träger mehr zu nutzen als bisher geschehen. Dies hätte neben der inhaltlichen Verbesserung auch die Folge, dass weniger Personal beim öffentlichen Träger angestellt ist.